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Industrie 4.0: Wandel mit technischen und sozialen Dimensionen

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Thema:
Autor: Jonas Völker

Prof. Hartmut Hirsch-Kreinsen ist Mitglied im von acatech koordinierten Forschungsbeirat Industrie 4.0 und Research Fellow an der Sozialforschungsstelle der Technischen Universität Dortmund.
Foto: Prof. Hartmut Hirsch-Kreinsen

Für eine menschenorientierte Arbeits- und Organisationsgestaltung bedarf es eines Verständnisses von Industrie 4.0, das sowohl die soziale als auch die technische Dimension des Wandels umfasst. Unternehmen sollten beispielsweise Weiterbildung und Kompetenzentwicklung der Mitarbeitenden als strategische Aufgaben in den Fokus nehmen. Über diese und weitere Herausforderungen sowie das Aufbrechen tradierter Rollen in den Unternehmen spricht Hartmut Hirsch-Kreinsen im atp-Interview. Er ist Mitglied im von acatech koordinierten Forschungsbeirat Industrie 4.0 und Research Fellow an der Sozialforschungsstelle der Technischen Universität Dortmund.

Herr Hirsch-Kreinsen, für eine menschenorientierte Arbeits- und Organisationsgestaltung bedarf es eines Verständnisses von Industrie 4.0, das sowohl die soziale als auch die technische Dimension des Wandels umfasst. Wo sehen Sie hier die entscheidenden Stellhebel?

Die allgemeine Auffassung der Arbeitsforschung ist seit langem, dass digitalisierte Produktionsprozesse, eben auch Industrie 4.0, als soziotechnische Systeme zu verstehen sind. Für eine menschenorientierte bzw. qualifikationsorientierte Gestaltung von digitalisierten Produktionsprozessen bedeutet dies, dass stets das Zusammenspiel digitaler Technologien mit den dadurch induzierten personellen und organisatorischen Veränderungen in den Blick zu nehmen ist. Anders formuliert, zentraler Stellhebel ist, das Gesamtsystem der Produktion so zu gestalten, dass die Verbindungen zwischen den verschiedenen Teilen berücksichtigt werden. Es geht nicht nur darum, die Arbeitsorganisation oder ein technisches System isoliert zu betrachten und zu gestalten, sondern vielmehr sicherzustellen, dass sie gut aufeinander abgestimmt sind und im Kontext des gesamten Produktionssystems wirksam werden.

Kompetenzentwicklung und Weiterbildung gelten angesichts der sich beschleunigenden Digitalisierung auch in Zukunft als zentrale Bausteine, den digitalen Wandel sozial und ökonomisch erfolgreich zu bewältigen. In welchen Bereichen von Industrie 4.0 sehen Sie den größten Wandel der Kompetenzanforderungen und wie können diese erfüllt werden?

Generelle Antworten sind hier schwierig, weil neue Kompetenzanforderungen an die Mitarbeitenden je nach Funktion, Beschäftigungssegment, Qualifikationsniveau und digitalen Systemen in unterschiedlicher Weise auftreten und damit auch spezifische Maßnahmen erfordern. Je nach Arbeitssituation sind hier stets valide Analysen und die Entwicklung passgenauer Qualifizierungs- und Weiterbildungskonzepte erforderlich. Freilich sind zwei häufig vernachlässigte Voraussetzungen hierfür unabdingbar: Zum Ersten müssen Unternehmen Kompetenzentwicklung und Weiterbildung als strategische Aufgaben ansehen. Zum Zweiten müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ausreichenden Ressourcen und motivierenden Bedingungen für effektive Qualifizierungsmaßnahmen ausgestattet werden.

Eine erfolgreiche Einführung von Industrie 4.0 sowie der damit verbundenen Geschäftsmodelle muss mit einem organisationalen Wandel einhergehen. Was ist für Unternehmen im Vorfeld besonders zu berücksichtigen?

Wie auch vom Forschungsbeirat Industrie 4.0 in seinen Themenfeldern für Forschung und Entwicklung betont, sind für eine erfolgreiche Implementierung von Industrie 4.0 sowie der damit verbundenen Geschäftsmodelle weitreichende unternehmensorganisatorische Anpassungen notwendig, die von der Arbeits- bis zur Führungsebene reichen. Denn Industrie 4.0 verändert die tradierten Rollen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Führungskräften sowie Betriebsräten. Digitale Medien machen Information und Wissen inner- und überbetrieblich transparenter und Führungsfunktionen differenzieren sich auf verschiedenen Ebenen – hierarchisch, horizontal, im Netzwerk etc.– aus. Insgesamt ist festzuhalten, dass eine mangelnde Ausprägung von „Lessons Learned“, eine fehlende adäquate Fehlerkultur sowie unzureichende Lösungen der Wissensspeicherung und des Wissenstransfers in der Organisation, gerade auch in global verteilten Wertschöpfungsketten, wesentliche Gründe darstellen, warum viele Unternehmen nicht über den Prototypen-Status von Industrie 4.0 hinauskommen. Es gilt nicht nur tradierte Denkweisen und Prozesse zu überwinden, sondern durch geeignete Methoden des Change-Managements einen Umbruch in Kultur und Organisationsstruktur von Unternehmen herbeizuführen. Daher ist eine umfassende Neubewertung des Führungsverständnisses sowie der Beteiligungsformen der Beschäftigten unabdingbar.

Über den Forschungsbeirat Industrie 4.0

Der Forschungsbeirat Industrie 4.0 trägt als strategisches und unabhängiges Gremium wesentlich dazu bei, forschungsbasierte Lösungswege für die Weiterentwicklung und Umsetzung von Industrie 4.0 aufzuzeigen und somit Orientierung zu geben – mit dem übergeordneten Ziel, das deutsche Innovationssystem und die Wertschöpfung zu stärken. Dafür kommen im Forschungsbeirat aktuell 32 Vertreter*innen aus Wissenschaft und Industrie mit ihrem interdisziplinären Expertenwissen zusammen, formulieren neue, vorwettbewerblich beantwortbare Forschungsimpulse bzw. -bedarfe, zeigen mittel- bis langfristige Entwicklungsperspektiven auf und leiten Handlungsoptionen für die erfolgreiche Umsetzung von Industrie 4.0 ab. Die Forschung im Bereich Industrie 4.0 fokussiert sich dabei verstärkt auf Themen wie Nachhaltigkeit, Resilienz, Interoperabilität, technologische bzw. strategische Souveränität und die zentrale Rolle des Menschen. Die Arbeit des Forschungsbeirats wird von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften koordiniert, vom Projektträger Karlsruhe (PTKA) betreut und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

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