Dr.-Ing. Thomas Tauchnitz, Chefredakteur Industry des atp magazins, erklärt, warum der Begriff digitaler Zwilling glücklicherweise breit gefasst ist.
„Ein digitaler Zwilling ist die digitale Repräsentanz eines … Objekts oder Prozesses aus der realen Welt in der digitalen Welt“, heißt es bei wikipedia.org. Das ist eine weise Definition, denn sie lässt es völlig offen, was denn da digital repräsentiert wird. In diesem „atp weekly“ gibt es vier verschiedene Interpretationen:
- Die ASAP-Gruppe verwendet digitale Zwillinge der Komponenten des Antriebsstrangs von E-Fahrzeugen, um deren Energieeffizienz in einem virtuellen Prüffeld zu untersuchen. Das ermöglicht in der Entwicklung Reichweitenvorhersagen und später im Betrieb die Optimierung von Streckenverläufen oder die Validierung von Sensordaten.
- Der Report von Dassault Systèmes beschreibt, dass neue Geräte durch den digitalen Zwilling schon in der virtuellen Welt validiert werden können. So werden erst am Projektende reale Prototypen benötigt. Sie begleiten den Produktlebenszyklus und ermöglichen Anpassungen und Weiterentwicklungen.
- Im Bericht von Phoenix Contact geht es darum, dass der digitale Zwilling die Historie aller Assets „wie eine Art Facebook“ begleiten kann – ein schönes Bild! Wichtig ist, für die Pflege der digitalen Zwillinge eine Infrastruktur zu schaffen. Darin können auch die Eigentumsverhältnisse aufgezeichnet werden, nötigenfalls mit Blockchains abgesichert.
- Der Artikel von PSI Technics stellt ein Positioniersystem für logistische Komponenten wie Regalbediengeräte oder Krane vor. Im digitalen Zwilling verbirgt sich ein adaptives mathematisches Modell des dynamischen Verhaltens der Anlage. Damit können die Geräte schnell, schonend und schwingungsarm geregelt werden.
Innovation ensteht nur durch konkreten Nutzen
Es ist schön, dass hier konkrete Anwendungen des digitalen Zwillings beschrieben werden. Der etwas ausgeleiterte und werblich missbrauchte Begriff digitaler Zwilling wird in der Praxis real genutzt – nur so entsteht Innovation.
„Ein Zwilling ist ein Zwilling ist ein Zwilling ist ein Zwilling.“
Doch halt! Jeder Beitrag beschreibt etwas anderes als „digitalen Zwilling“. Die Dokumentation von Eigentumsverhältnissen oder die dynamische Regelung und Simulation von Komponenten sind sehr verschiedene Dinge. Ist das nicht ein Missbrauch des Begriffs digitaler Zwilling?
Nein, glücklicherweise nicht, denn die Definition von wikipedia ist sehr weit gefasst. Alle Beiträge beschreiben die Verwendung digitaler Repräsentanzen von Eigenschaften der Objekte.
Trotzdem sollte der Leser immer nachfragen, welche Aspekte davon der jeweilige Autor verwendet.
Dr.-Ing. Thomas Tauchnitz
Chefredakteur Industry atp magazin