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Kommt das selbstfahrende Auto noch?

Kategorie:
Thema:
Autor: Thomas Tauchnitz

Dr.-Ing. Thomas Tauchnitz, Chefredakteur Industry des atp magazins, fragt sich, ob der Traum vom selbstfahrenden Auto noch in Erfüllung geht.

 

Ach, wäre das schön!
Es hätte so schön sein können: Wenn ich zu alt zum Autofahren bin, rufe ich einfach einen fahrerlosen Mietwagen an, steige ein und sage „Bitte fahre mich zu Sohn X oder Tochter Y“ – und dann fährt mich das autonome Fahrzeug von Haustür zu Haustür. Ohne Kofferschleppen, ohne Frieren auf den Bahnhöfen und komfortabel. Man erwartete diese Technologie ursprünglich schon bis Mitte der 2020er Jahre.
Pläne beerdigt
Jetzt scheint das autonome Fahren in weite(re) Ferne zu rücken. Apple hat verkündet, sich aus dem Geschäftsfeld der autonomen Elektrofahrzeuge zurückzuziehen– zehn Jahre Entwicklung, Milliarden an Investitionen und mehrere hundert Mitarbeitende des Projekts „Titan“ werden aufgegeben. Und auch andere Unternehmen, die am autonomen Fahrzeug arbeiten, sind sehr still geworden, haben Programme eingestampft und wagen keine Ankündigungen mehr.

Die Definitionen der fünf Level des autonomen Fahrens aufsteigend von links nach rechts.

Kurz zum Hintergrund: Es sind fünf Level des autonomen Fahrens definiert. Heute ist Level 2 Stand der Technik. Level 3 gibt es für Top-Limousinen, zugelassen allerdings nur bis maximal 60 km/h. Level 4 – das, worauf ich hoffte, – ist noch nicht in Sicht.

Warum geht es so schlecht voran?
Es lag dieses Mal definitiv nicht an den rechtlichen Rahmenbedingungen. Das Gesetz zum autonomen Fahren trat schon 2021 in Kraft und regelt das Fahren bis einschließlich Level 4. Hier war der viel gescholtene Gesetzgeber also schneller als die Technologie. Ich persönlich sehe drei Gründe, warum es mit dem autonomen Fahren aktuell so schlecht vorangeht:

1. Höhere Erwartungen an die Automatisierung als an den Menschen
Alle sind sich einig, dass automatisches Fahren die Zahl der Unfälle und der Opfer deutlich verringern würde, wahrscheinlich sogar um 90 %. Eine Automatik ist nicht übermüdet, nicht übermütig, nicht alkoholisiert, frei von Adrenalin und Testosteron und fährt absolut regelkonform, vorausschauend und defensiv. Sie würde ganz sicher Menschenleben retten.

Allerdings haben wir an autonome Fahrzeuge viel höhere Erwartungen, Fehler werden nicht akzeptiert. Bisher gab es in den USA 400 Unfälle mit teilweise selbstfahrenden Autos. Die Zahl ist – verglichen mit den zigtausenden Autounfällen jährlich – klein. Doch jeder schwere Unfall wird weltweit diskutiert. Im Oktober wurde eine Fußgängerin von einem Robotaxi überrollt und mehrere Meter mitgeschleift. Sie war zuvor durch ein von Menschen gesteuertes Auto erfasst worden, fiel vor das Robotaxi – und das hielt sofort an. Dann aber fuhr es wieder an. Einen solchen Fall hatte niemand einprogrammiert. Sofort wurde diesen Fahrzeugen die Verkehrszulassung entzogen. An die Automatisierung wird also ein viel strengerer Maßstab angelegt als an den Menschen. Fehler werden beim Menschen relativ geduldig ertragen („Irren ist menschlich“), bei der Automatisierung aber rigoros abgelehnt.

2. Unterschätzte Komplexität
Das Leben auf der Straße ist komplex: fehlende gelbe Fahrspurmarkierungen in Baustellen, Einsatzfahrzeuge mit Blaulicht, falsch gesetzte Blinker, spontanes Verhalten anderer Menschen und Tiere, schlecht gesicherte Baustellen, Einigung bei unklaren Vorfahrtssituationen durch Blickkontakt. Auch mit „streikenden Bauern“, die in der Nacht Misthaufen auf Landstraßen kippen, konnte niemand rechnen. Egal, an wie viele Situationen die Entwicklung denkt und testet – es wird immer Detailprobleme geben, die niemand vorhergesehen hat. „Wir haben die Komplexität unterschätzt“, gibt Ilja Radusch von der TU Berlin im Interview mit n-tv zu.

Da es um Gesundheit und Menschenleben geht, sind Unfälle durch nicht berücksichtigte Situationen eigentlich nicht zu akzeptieren – aber prinzipiell nie auszuschließen.

3. Wirtschaftlichkeit
Der Aufwand für die Entwicklung des autonomen Fahrens ist groß und steigt mit jedem Jahr. Der Nutzen, der aktuell geboten wird, ist dagegen klein: Es mag Manager geben, die die durch das autonome Fahren im Autobahnstau gewonnene Zeit nutzen. Aber wer ist bereit, dafür viele tausende Euro zu bezahlen? Und wer schon mal neben einem regelbewussten Fahranfänger gesessen hat und sich auf die Zunge beißen musste, um nicht ständig „gib Gas“ oder „überhol doch!“ zu rufen, ahnt, dass Fahren manchmal mehr Freude bereitet als Beifahren.

In zehn oder 20 Jahren werden die Kosten für das autonome Fahren klein sein, aber wir befinden uns in der typischen kritischen Phase von Innovationen, in der man endlich auch damit Geld verdienen will. Genau in dieser Phase scheinen jetzt viele Projekte gestoppt zu werden.
Ich bleibe optimistisch: das autonome Fahren wird kommen. Wir werden merken, dass die insgesamt sinkenden Unfallzahlen durch autonomes Fahren wichtiger sind als die Aufregung über einzelne Unfälle. Die Software wird immer mehr Sonderfälle abdecken, so dass die Komplexität zunehmend beherrscht wird. Und die Wirtschaftlichkeit kommt nicht dadurch, dass der Fahrende entlastet wird, sondern dass neue Geschäftsmodelle entstehen und wir sowieso nicht mehr genügend Fahrerinnen und Fahrer haben.

Ob ich das noch erlebe, um meine Kinder zu besuchen?
Wir werden es sehen.

Dr.-Ing. Thomas Tauchnitz
Chefredakteur Industry atp magazin
atp@TAUTOMATION.consulting

PS: Auch in der Verfahrensindustrie sehe ich, dass wir an die Automatisierung höchste Anforderungen stellen, zu Recht natürlich. Andererseits wird nicht viel dafür getan, menschliche Fehler zu minimieren. Regelmäßige Schulungen beispielsweise am Simulator, um kritische Situationen zu meistern, finden nur in Ausnahmen statt. Da wird dem Menschen noch relativ blauäugig zugetraut, auch unter Stress die richtigen Entscheidungen zu treffen.

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