Jonas Völker, Redaktionsleiter des atp magazin, blickt auf die Europawahl Anfang Juni und zeigt, welchen Einfluss Künstliche Intelligenz haben könnte.
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Die Europawahl steht unmittelbar bevor, überall in Deutschland und Europa sind politische Parteien dabei, Plakate aufzuhängen, Wahlveranstaltungen zu organisieren und ganz altmodisch in der Fußgängerzone ihre Info-Stände aufzubauen. Abgesehen von einigen besorgniserregenden Vorfällen, wie etwa den Angriffen auf Politiker in Essen und Dresden, steht dabei momentan aber vor allem wieder einmal eine Technologie im Mittelpunkt: Künstliche Intelligenz.
Fest steht: Die Wahl zum Europäischen Parlament, die vom 6. bis 9. Juni 2024 in insgesamt 27 Ländern stattfindet, wird die erste sein, die von KI-Technologien beeinflusst wird. Denn natürlich kann Künstliche Intelligenz auch im Kontext demokratischer Wahlen eingesetzt werden, um Meinungen zu bilden. Aber genauso auch, um sie gezielt zu verändern.
KI-Verhaltenskodex verpflichtet europäische Parteien zur Sorgfalt
Damit genau das nicht passiert, haben die europäischen politischen Parteien Anfang April einen Verhaltenskodex für die Wahl zum Europäischen Parlament 2024 unterzeichnet. Mit ihrer Unterschrift haben sich die Parteien verpflichtet, ethische und faire Wahlkampfpraktiken einzuhalten. Kommissionsvizepräsidentin Věra Jourová erklärte dazu in einer Pressemeldung:
„Diese Vereinbarung wird dazu beitragen, Vertrauen aufzubauen und das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in den Wahlprozess zu stärken. Wahlen sollten die Bühne für den Wettbewerb der Ideen sein und nicht für schmutzige Manipulationsmethoden wie KI-Deepfakes.“
Ob die Unterzeichnung eines relativ vagen Dokuments von vier Seiten jetzt eine Einflussnahme von KI auf die Europawahl verhindern kann, darf bezweifelt werden. Immerhin hat die EU-Kommission das Thema zumindest mal auf dem Schirm. Aber auch die deutschen Behörden sind vorgewarnt, wie das Bundesinnenministerium auf seiner Website schreibt: „Im Kontext der Europawahl ist unter anderem mit einer Zunahme ausländischer Desinformation in Deutschland zu rechnen.“
KI-Deepfakes und ChatGPT: Das Zünglein an der Urne?
Künstliche Intelligenz hat die Grenzen zwischen Fiktion und Realität zunehmend aufgeweicht, wie verschiedene Beispiele in der jüngeren Vergangenheit eindrucksvoll gezeigt haben. Erinnern Sie sich noch an das Deepfake-Video von Olaf Scholz?
Nicht ohne Grund warnt die EU-Agentur für Cybersicherheit, ENISA, davor, dass gerade im Kontext der Wahl im Juni KI-Tools Einfluss nehmen könnten. Besonders im Fokus dabei und explizit genannt wurde ChatGPT. Allein zwischen Juli 2022 und Juni 2023 wurde die ENISA auf 2.580 mit dem Tool verbundene Cybersicherheitsvorfälle hingewiesen.
Zu unterschätzen ist die Rolle von KI-Chatbots im Kontext der Europawahl jedenfalls nicht: Vier der beliebtesten KI-Chatbots in Europa liefern laut einer neuen Studie von Democracy Reporting International keine genauen Informationen über die Europawahl. Die Organisation hatte im März an vier Tagen verschiedene Fragen zur Wahl in Gemini (Google), ChatGPT 3.5 und 4.0 (beide OpenAI) sowie Copilot (Microsoft) eingegeben, um zu sehen, welche Antworten sie geben.
Die Forschenden kamen zu dem Ergebnis, dass keiner der vier Chatbots es schaffte, parteiische Antworten zu vermeiden. Überrascht hat das eigentlich niemanden, wie Michael Meyer-Resende, der Geschäftsführer von Democracy Reporting International, gegenüber Euronews sagte. Das große Problem: KI-Chatbots halluzinieren, oder wie es Meyer-Resende formuliert:
„Wenn es zu einer Frage nicht viel Material gibt, erfinden die Chatbots einfach etwas.“
Immerhin einer der Entwickler der untersuchten KI-Chatbots hat inzwischen reagiert. Google, dessen Dienst Gemini in der Studie am schlechtesten abschnitt, nahm wohl bereits Einschränkungen an seinem Large Language Model (LLM) vor.
Europawahl 2024: Der Nachwuchs wählt mit
Hinterfragt werden müssen vor diesem Hintergrund auch Initiativen wie „KI meets Europawahl“ oder Wahl-O-GPT, die vor allem junge Menschen über den KI-Hype dazu bringen soll, sich mit Politik zu beschäftigen. Zur Erinnerung: wahlberechtigt sind im Juni bereits Jugendliche ab 16 Jahren. Gerade Wahl-O-GPT wird z. B. von der Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg kritisch gesehen, weil auch die Behörde Falschaussagen der KI nachgewiesen hat.
Am Ende gilt auch hier wie bei vielen KI-Tools: Vorsicht walten lassen! KI-Chatbots möchten oft lieber hilfreich als präzise sein. Statt keiner Antwort geben sie lieber eine erfundene. Das gilt es auch bei der Europawahl im Juni zu bedenken.
Empfehlen Sie zur Vorbereitung auf die Wahl deshalb vielleicht lieber den „normalen“ Wahl-O-Mat oder den Bitkomat des Digitalverbands Bitkom, wenn Sie einen digitalpolitischen Parteien-Check bevorzugen. Beide Tools kommen ganz ohne KI aus.
Jonas Völker
Redaktionsleiter atp magazin
j.voelker@vulkan-verlag.de