Dr.-Ing. Thomas Tauchnitz, Chefredakteur Industry des atp magazins, erklärt, warum wir uns ineffiziente Geschäftsprozesse nicht mehr leisten können.
Auflösung eines Vereins – was für eine Verschwendung!
Im vorigen Jahr hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, einen kleinen eingetragenen Verein aufzulösen. Das erforderte einigen Schriftverkehr mit dem Vereinsregister beim Amtsgericht. Für jeden Brief war eine Beglaubigung aller Unterschriften erforderlich, und zwar durch das Ortsgericht. Eine viel leichter machbare Beglaubigung durch Mitarbeitende des Bürgerbüros reichte nicht aus. Für jeden Brief mussten alle Vorstandsmitglieder ins Rathaus kommen, natürlich zur Öffnungszeit von zwei Stunden pro Woche. Was für ein unangemessener Aufwand!
Es war nicht einmal möglich, die Identität und Unterschriftsprobe für jedes Vorstandsmitglied einmalig zu dokumentieren – nein, es musste jeder Brief so beglaubigt werden.
Gescheiterte Versuche
Für mich war das ein krasses Beispiel für unsinnige, verschwenderische Prozesse – Schulnote 5, also mangelhaft! Denkbar wäre gewesen, dass das Vereinsregister beglaubigte Unterschriftsbeispiele verwenden würde – das setzt aber voraus, dass die Mitarbeitenden im Vereinsregister die Unterschriften mit den Mustern vergleichen könnten. Ich hätte für einen solchen Prozess eine Schulnote 3 gegeben, also befriedigend. Der Staat verfügt durch die elektronischen Personalausweise sowieso über unsere Unterschriftsproben, ein Zugriff darauf hätte ich mit einer 2, also gut, bewertet. Eine 1, also sehr gut, hätte es geben können für eine Beglaubigung durch Auflegen des Personalausweises auf das Handy und einen Fingerabdruck. Sie sehen: Gute Noten erfordern Digitalisierung!
Auch in der „freien Wirtschaft“
Vor meinem inneren Auge sehe ich jetzt einige meiner Leserinnen und Leser schmunzeln: Klar, typisch Behörde! Tut mir leid, so einfach mache ich es Ihnen nicht, es gibt auch in der „freien Wirtschaft“ solche Beispiele:
- Ich wurde Kassenwart eines Vereins. Zusammen mit der Vorsitzenden ging ich zur Bank, um die Berechtigungen von meinem Vorgänger auf mich zu übertragen. Am Ende musste ich drei Mal dort hin. „Ach, Sie wollen auch, dass die Kontoauszüge nicht mehr an Ihren Vorgänger, sondern an Sie gehen? Da müssen Sie leider nochmal vorbeikommen!“ Mir fehlten die Worte. Es gibt 615.000 Vereine in Deutschland; wenn alle Kassenwarte nur alle zehn Jahre wechseln, gibt es in jedem Jahr 61.500 solche Wechsel. Es geht also um einen Routineprozess, den eine Bank eigentlich ohne dreimaligen Besuch abwickeln können sollte.
- Ein Kunde von mir war nicht in der Lage, mich als Lieferanten im System anzulegen. Jetzt läuft die Bestellung über ein Ingenieurbüro, das für jede von mir abgerechnete Stunde zehn Euro für die Abwicklung bekommt. Ebenfalls ohne Worte.
Wir haben dafür weder Geld noch Menschen!
Sie sehen an diesen drei Beispielen: Wir haben ganz viel Potenzial für Verbesserungen. Und ich sehr viele Fragen: Wie lange können wir uns eine solche Verschwendung noch leisten? Warum gehen die Firmen solche Probleme nicht an? Haben sie immer noch so viel Geld, dass sie es verschwenden können? Oder sind sie unfähig zur Veränderung?
Aber es geht nicht nur um Geld. Schon vor fast genau zwei Jahren habe ich an dieser Stelle ausgerechnet, dass für 100 Menschen, die in den Ruhestand treten, nur 60 neue ihr Berufsleben beginnen. Wir müssen also unsere Arbeit mit 40 % weniger Menschen schaffen. Das gelingt ganz sicher nicht mit solchen Ineffizienzen. Und ich denke auch, dass junge Menschen gar nicht mehr gewillt sind, in einer Firma zu arbeiten, wo sie ihre Arbeitszeit sinnlos verschwenden.
Ein „weiter so!“ wird es also nicht geben, es fehlt Geld und Personal dafür. Deshalb erneut mein Aufruf: Identifizieren Sie Ihre ineffizienten Prozesse und verbessern Sie sie grundlegend! Und das geht am besten mit der Digitalisierung.
Dr.-Ing. Thomas Tauchnitz
Chefredakteur Industry atp magazin
atp@TAUTOMATION.consulting