Jonas Völker, Redaktionsleiter des atp magazins, meldet sich live von der NAMUR-Hauptsitzung 2024 mit den wichtigsten News des 1. Kongresstags.
Die NAMUR feiert ihren 75. Geburtstag
Das Jahrestreffen der NAMUR startete in diesem Jahr mit einem Blick in die eigene Vergangenheit. Anlass ist das 75-jährige Bestehen der Interessengemeinschaft, den sie auf der nunmehr 87. Hauptsitzung angemessen feiert.
In seinen Eröffnnungsworten würdigte Felix Hanisch dann im passenden „NAMUR-Merch“ auch sogleich die wichtige Rolle der NAMUR in der Gestaltung der Prozessindustrie im deutschsprachigen Raum. Gemeinsam mit dem Auditorium warf er einen kurzen Blick in die Historie der NAMUR und würdigte einige besondere Wegbereiter, darunter unseren Kolumnisten Thomas Tauchnitz (“Tausendsassa”) für ihr Engagement.
Tobias Schlichtmann wird neuer NAMUR-Vorstandsvorsitzender
Schon im Vorfeld der gestrigen Mitgliederversammlung war klar, dass es einige Veränderungen im Board der NAMUR geben würde. Der bisherige Vorstandsvorsitzende Felix Hanisch, inzwischen Standortleiter des Bayer-Werks Muttenz in der Schweiz, trat nicht mehr zur Wahl an. Nach insgesamt sieben Jahren an der Spitze der NAMUR übergibt er sein Amt nach der Hauptsitzung an seinen Vorstandskollegen Tobias Schlichtmann.
Darüber hinaus verlassen Igor Stolz (Evonik) und Frank van den Boomen (Covestro) den Vorstand, für sie rücken Niels Kiupel (Evonik) und Sebastian Mahler (Covestro) nach. Das Board vervollständigen Michael Pelz (Heubach), Carlos Hedler (Bayer) und René Neijts (Dow). Der Vorstand reduziert sich damit zunächst von sieben auf sechs Mitglieder.
Der aktuelle Stand der APL-Technik
Erfreuliches gab es nach dem offiziellen Ende der NAMUR APL Task Force zu berichten. Die von Januar 2023 bis Ende 2024 laufende Initiative hatte sich die Zielsetzung gegeben, innerhalb von zwei Jahren mindestens zehn Projekte zu identifizieren. Mit dem ZVEI zusammen wurden nun insgesamt 26 Projekte initiiert: zehn im Labor, vier in Pilotanlagen, zwölf in der Produktion. Drei sind im Moment „on hold“, was aber nicht an APL liegt. In Zusammenarbeit mit dem atp magazin erschienen darüber hinaus zwei APL-Marktspiegel, die kostenfrei zur Verfügung stehen.
„Umgesetzt wird nur, was sich rechnet“
Warum die NAMUR so wichtig ist, erklärte gleich anschließend der ZVEI-Präsident und atp-Herausgeber Dr. Gunther Kegel den rund 600 Teilnehmenden. „Die NAMUR ist ein Leuchtturm der Prozessindustrie“, machte er deutlich und ihre Orientierung inzwischen „absolut international“. Im Anschluss seines Vortrages identifizierte er die zentralen Herausforderungen für die Prozess- und Verfahrenstechnik als auch die gesamte produzierende Industrie:
- Dekarbonisierung: Es müsse zunehmend darum gehen, Emissionen durch eine „Effizienzwende“ zu vermeiden. Dabei gebe es keinen „First-Mover-Advantage“, denn aktuell sei es leider immer noch günstiger, einfach die CO2-Abgaben zu zahlen, als wirklich zu dekarbonisieren.
- Digitalisierung: „Die Basis aller Digitalisierung ist immer ein gemeinsames Datenmodell, so Kegel. Die Verwaltungsschale sei hier ein wichtiges Konzept.
- Demographie: Der gesamte Standort Deutschland laufe sehenden Auges auf einen massiven Fachkräftemangel zu. Es brauche mehr Studierende in der Elektrotechnik und MINT-Fächern allgemein. Auch ausländische Studierende, deren Zahl in den vergangenen Jahren stieg, müssten weiterhin gefördert werden.
Boundless Automation: Die Zukunft der Automatisierung
Dann war es endlich dem Sponsor der diesjährigen Hauptsitzung überlassen, das Motto „Boundless Automation for Ecosystems in Action“ mit Leben zu füllen. Roel van Doren (Group President Global Sales) und Peter Zornio (Chief Technology Officer) stellten vor, wie eine software-defined Automation der Zukunft aussehen kann.
Die neue Automatisierungs-Vision setzt dabei vor allem auf eine neue Topologie, die nur noch aus drei Schichten besteht: der Cloud, der Edge und dem Feld. Automatisierungs-Funktionen und -Anwendungen werden dabei in Zukunft stärker in die Edge verlagert, wo auch die Regelung stattfinden soll. Basis dafür sind Software-Applikationen, die dafür sorgen, dass sich die Automatisierungs-Infrastruktur stark verändern wird. Aus starren monolithischen Systemen werde in Zukunft eine Software-Defined Infrastructure, die auf Operations Management Software basiert und dezentral betrieben wird.
Aus Sicht von Emerson wird dabei die Security zu einer wesentlichen Anforderung an solche Architekturen. Hier soll Security by Design als wesentliche Säule, aber auch die Isolation durch eine Containerisierung der Systeme sowie Zero-Trust-Mechanismen inklusive verschlüsselter Kommunikation helfen, eine Security-Baseline zu gewährleisten. Weitere Details zum Sponsor-Vortrag gibt es hier.
Security, Automation Evergreens und intelligente Feldgeräte
Die drei weiteren Plenarvorträge des 1. Kongresstags zeigten noch einmal auf, welche zentralen Themen die NAMUR und ihre Mitglieder derzeit umtreiben.
Raphael Fritz (BASF) betonte in seinem Vortrag „Security als Enabler“, warum sich mit der Weiterentwicklung der Technik auch die Security weiterentwickeln müsse und zeigte anhand des Bilds einer sich ausbauenden Burg die wesentlichen Prinzipien der Cybersecurity auf. Zum Schluss kündigte er noch den Start einer NAMUR Security Task Force an, die 2025 ihre Arbeit aufnehmen soll.
Tennis auf der NAMUR-Hauptsitzung gab es auch noch nicht. Und fast wäre es während des Vortrags von Christian Mücksch (BASF) und Andreas Neustadt (Lanxess) zu einem Match gekommen. Doch leider gab das intelligente Auto den Kofferraum nicht frei. Der Grund: ein Update…
Auch in der Chemie- und Pharmaindustrie sind Systeme während Aktualisierungen nicht erreichbar. Zeit für einen Paradigmenwechsel fanden die Referenten und schlugen vor, genau hier anzusetzen. Ihre Idee: eine Technologie, die kritische Funktionen betriebsbereit hält, während Updates eingespielt werden.
Dabei die richtige Balance zwischen Innovation und Systemstabilität zu finden, sei gerade im Brownfield nicht leicht. „Anstatt etwas Neues zu riskieren, gehen wir lieber weiter in die Obsoleszenz.“
Im letzten Plenarvortrag vor der Mittagspause und den Workshops zeigte Thomas Scherwietes (Evonik), welche enormen Vorteile intelligente Feldgeräte heute schon bieten und warum die Industrie sie dennoch kaum nutzt. Um sie zum Einsatz smarter Geräte zu motivieren, zeigte er an vier ausgewählten Use Cases die Vorteile digitaler Technologien.